Beobachter – Das stille Sterben
Insekten: Langsam, aber sicher verschwinden die kleinen Sechsbeiner. Unbemerkt. Aber mit fatalen Folgen – für uns alle.
EKZ blue – Emmi: hell begeistert
Der Milchverarbeiter Emmi hat die Beleuchtung an seinem Standort in Suhr auf LED umgestellt. Und spart so viel Energie. Die markanteste Veränderung ist aber eine andere, wie ein Rundgang vor Ort zeigt.
Dark-Sky Switzerland: In der Medienarbeit der Beleuchtungsindustrie ist alles gut und schön. Was man dort auch beobachten kann sind Insekten, die ebenfalls hell begeistert sind und ihr natürliches Habitat verlassen.
Siehe nachfolgendes Video:
Warum unter 3000 Kelvin?
Die Idee dazu stammt aus dem Jahr 2009 von unserer Dachorganisation International Dark-Sky Association (IDA), deren Mitglied wir sind. Unsere Argumentation ist auf die Schweiz und Europa zugeschnitten und brandaktuell.
Lesen Sie unser zweiseitiges Merkblatt mit Quellenverzeichnis:
» Warum unter 3000K? (pdf)
Oder nehmen Sie diese Quellen direkt zur Kenntnis:
Internationale Organisationen haben sich für eine Reduktion der Lichtemissionen ausgesprochen
- 2007 verabschiedete die UNESCO die La Palma Deklaration
- 2009 propagierte die IDA weniger als 3000 Kelvin bei LED.
- 2013 meldete die WHO Schichtarbeit als Krebsrisiko
- 2016 warnte die AMA vor blauweissen (kalten) LED
Wissenschaftliche Studien belegen schädliche Folgen für die Kreisläufe der Natur/Biodiversität
Störung der Fauna (alle Arten)
- 2010 Anlockwirkung moderner Leuchtmittel auf nachtaktive Insekten (pdf)
- 2015 Metastudie Mission Économie Biodiversité und ANCPEN (pdf)
eingeflossen in der EU Strassenbeleuchtung: - 2017 Revision of the EU Green Public Procurement Criteria for Street Lighting and Traffic Signals (pdf, en)
- 2017 «Bitte Licht löschen», Pro Igel (pdf)
Fledermauslampe / Fledermausschutz
Natürliche Nachtlandschaften schützen
LED 4000K = 2.5 Mal mehr Aufhellung
Zunahme 2012-2016 +2.2% pro Jahr
Reduktion der Himmelsaufhellung
Die Farbtemperatur des Vollmondes
- 2017 In welchem Licht strahlt der Vollmond? (pdf)
- 2018 Der Wechsel der Farbtemperatur des Vollmondes (pdf scan)
Lichtetikette von ANCPEN
Die Lichtetikette von ANCPEN (Dark-Sky Frankreich) beschreibt die Schädlichkeit der Lichtquelle durch verursachte ökologische Lichtverschmutzung (betroffene Fauna) und wird aus Tabelle 6 hergeleitet
In Klasse A | befinden sich nur Niederdruck-Natriumdampfleuchten, die aber in der Schweiz kaum eingesetzt wurden. |
In Klasse B | landen die bei uns noch häufigen Hochdruck-Natriumdampflampen und die monochromen Amber-LED |
In Klasse C | befinden sich warme LED (der geforderte Minimalstandard unter 3000 Kelvin) |
In Klasse E | befinden sich neutralweisse LED |
In Klasse G | landen unter anderem die kalt-weissen LED, welche vielerorts bereits nach 2009 installiert worden sind. |
Nature – Die dunkle Seite des Lichts
Dark-Sky Switzerland: Dies ist eine Übersetzung des englischen Original-Papers The Dark Side of Light by Aisling Irwin
Die Welt ist nachts beleuchtet wie nie zuvor. Eine Reihe von Experimenten verfolgt, wie sich Ökosysteme entwickeln.
Eine Sommernacht in der Nähe eines Waldsees in Deutschland und etwas Unnatürliches geschieht. Jenseits der dunklen Gewässer, die an das Ufer grenzen, strahlt ein schwaches Glühen von Lichtringen aus, die über der Oberfläche schweben. In der Nähe wird die Anwesenheit von Wissenschaftlern an der Küste durch wackelnde Taschenlampen in Rot – die geringste Störung im sichtbaren Spektrum – verraten. Sie testen, was passiert, wenn sie die Geschöpfe im See ihrer Nacht berauben.
Dieses Experiment in der Nähe von Berlin ist das ehrgeizigste von mehreren Projekten, die in den letzten Jahren in dunklen ländlichen Gebieten Europas durchgeführt wurden, um zu untersuchen, was die Lichtverschmutzung für die Ökosysteme bedeutet. Die Forscher machen sich zunehmend Sorgen über das Problem. Obwohl viele Studien belegt haben, dass künstliches Licht einzelne Arten schädigt, sind die Auswirkungen auf ganze Ökosysteme und die von ihnen erbrachten Leistungen, wie z.B. die Bestäubung von Nutzpflanzen, weniger deutlich. Sieben Feldversuche sollen Antworten liefern, indem sie beobachten, wie Pflanzen- und Tiergemeinschaften sowohl auf direktes Licht als auch auf die diffusere unnatürliche Leuchtdichte des Nachthimmels, das sogenannte Skyglow, reagieren.
Ökologen stehen vor der Herausforderung, Licht genau zu messen und zu beurteilen, wie sich mehrere Arten als Reaktion darauf verhalten. Aber die ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Licht in der Nacht eine allgegenwärtige, langfristige Belastung für die Umwelt darstellt.
Ökosysteme, von Küsten über Ackerland bis hin zu städtischen Wasserstrassen, von denen viele bereits unter anderen, bekannteren Formen der Umweltverschmutzung leiden.
«Es ist ein wichtiger blinder Fleck», sagt Steve Long, Pflanzenbiologe an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign und Herausgeber der Zeitschrift Global Change Biology. «Wir wissen jetzt sehr viel über die Auswirkungen des steigenden CO2-Ausstosses», sagt er. Aber wie gross sind die Auswirkungen der Lichtverschmutzung? «Wir setzen unsere Zukunft aufs Spiel, wenn es darum geht, was wir mit der Umwelt machen.»
In den Niederlanden testen Forscher die Wirkung von Kunstlicht in Mini-Ökosystemen
In den 1950er Jahren begann der niederländische Physiologe Frans Verheijen zu untersuchen, wie Lichter Tiere anziehen und ihr Verhalten stören. Und in den 1970er Jahren tauchten in der Literatur vermehrt biologische Beobachtungen der Auswirkungen von Licht auf. Aber es bedurfte zweier querdenkender Biogeographen – Catherine Rich, Präsidentin der Urban Wildlands Group in Los Angeles, Kalifornien, und Travis Longcore, jetzt an der University of Southern California in Los Angeles -, um die Verbindungen zwischen ihnen zu sehen und eine Konferenz im Jahr 2002 zu organisieren, gefolgt von dem Buch The Ecological Consequences of Artificial Night Lighting (Island, 2006), das aufzeigt, wie weit die Auswüchse der beleuchteten Nacht reichen.
Ob für Mensch, Schabe oder Planktonsträhne, für die überwiegende Mehrheit der Organismen ist der Kreislauf von Licht und Dunkelheit ein einflussreiches Regelwerk. Es vermittelt Werbung, Reproduktion, Migration und vieles mehr. «Seitdem sich das Leben entwickelt hat, hat sich die Erde dramatisch verändert, aber es gab immer helle Tage und dunkle Nächte», sagt Christopher Kyba, Physiker am Deutschen Geowissenschaftlichen Forschungszentrum in Potsdam. «Wenn wir das ändern, sollten wir uns Sorgen machen, dass wir eine Menge Zusammenhänge negativ beeinflussen könnten».
Das Tempo dieses Wandels nimmt zu. Auffällige Bilder aus dem Weltraum der letzten zwei Jahrzehnte zeigen, wie sehr die Nacht verschwindet. Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als ein Zehntel der Landfläche des Planeten in der Nacht künstliches Licht erfährt1 – und das steigt auf 23%, wenn man Skyglow mit einbezieht2. Die Ausdehnung der künstlich beleuchteten Freiflächen verteilt sich von 2012 bis 2016 jährlich um 2% (vgl. 3). Ein unerwarteter Treiber des Trends ist die weit verbreitete Installation von Leuchtdioden (LEDs), die immer beliebter werden, weil sie energieeffizienter sind als andere Glühbirnen (siehe Seite 274). Sie neigen dazu, ein breites Spektrum an weissem Licht zu emittieren, das die meisten der für die Natur wichtigen Frequenzen umfasst.
Der Trend hat tiefgreifende Auswirkungen auf einige Arten gehabt; Lichter sind bekannt dafür, dass sie zum Beispiel Zugvögel und Meeresschildkröten desorientieren. Wissenschaftler haben auch herausgefunden, dass das Verschwinden der Dunkelheit das Verhalten von Grillen, Motten und Fledermäusen stört und sogar die Krankheitsübertragung bei Vögeln erhöht.
Die tödlichsten Auswirkungen sind vielleicht auf Insekten – lebenswichtige Nahrungsquellen und Bestäuber in vielen Ökosystemen. Eine Schätzung der Auswirkungen von Strassenlaternen in Deutschland deutet darauf hin, dass das Licht in einem einzigen Sommer mehr als 60 Milliarden Insekten auslöschen könnte4. Einige Insekten fliegen direkt in Lampen und brutzeln, andere brechen zusammen, nachdem sie die Lampen stundenlang umkreist haben.
Weniger Studien haben Pflanzen untersucht, aber die getätigten Untersuchungen lassen vermuten, dass Licht sie ebenfalls stört. In einer Studie in Grossbritannien5 haben Wissenschaftler 13 Jahre lang den Zeitpunkt der Knospenöffnung in Bäumen aufgezeichnet und mit Satellitenbildern der nächtlichen Beleuchtung verglichen. Nachdem sie die städtische Hitze berücksichtigten, fanden sie heraus, dass Bäume unter künstlicher Beleuchtung ihre Knospen mehr als eine Woche zuvor platzen liessen – eine Grössenordnung, die derjenigen entspricht, die für 2 °C der globalen Erwärmung vorhergesagt wurde. Eine Studie über Sojabohnenfarmen in Illinois6 ergab, dass das Licht von angrenzenden Strassen und vorbeifahrenden Autos die Reifung der Ernten um bis zu sieben Wochen verzögern und den Ertrag verringern könnte.
Auswirkungen auf Ökosysteme
Nun kommen die Ergebnisse einiger ehrgeiziger Experimente. Eines der grössten ist ein Feldexperiment in den Niederlanden, wo acht Standorte in Naturschutzgebieten und dunklen Orten mehrere Reihen von Strassenlaternen beherbergen. Die Reihen sind verschiedenfarbig – grün, rot, weiss und eine Kontrollreihe ist ausgeschaltet – und laufen von einem Wiesen- oder Heidefeld in einen Wald hinein7. Seit nunmehr sechs Jahren nutzen Wissenschaftler und Freiwillige Kamerafallen, um die Aktivität von Kleinsäugern zu überwachen, automatische Fledermausdetektoren, um Echolokationsrufe aufzuzeichnen, Nebelnetze für das Fangen von Vögeln und Nistkästen, um den Zeitpunkt und den Erfolg der Brut zu beurteilen. Botaniker studieren den Pflanzenwuchs unter den Lampen.
“Seitdem sich das Leben entwickelt hat, hat sich die Erde dramatisch verändert, aber es gab immer helle Tage und dunkle Nächte.”
Das Team hat physiologische Beweise für die schädlichen Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf die Gesundheit von Wildtieren gefunden. Singvögel, die um das weisse Licht herum rasten, waren nachts unruhig, schliefen weniger und hatten Stoffwechselveränderungen, die auf eine schlechtere Gesundheit hindeuten könnten8. Das Projekt untersuchte auch die Auswirkungen von Licht auf Fledermäuse, die unter der Explosion der künstlichen Beleuchtung ein gemischtes Schicksal hatten. Einige Arten, wie z.B. die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus), fressen sich am Büffet der Insekten satt, die sie beim umkreisen der Lampen finden. Andere, lichtscheue Fledermäuse haben ihren Lebensraum verloren und sind an einigen Stellen verschwunden. In der niederländischen Studie hatte Rotlicht keinen Einfluss auf eine der Fledermausarten9, d.h. es konnte anstelle von Weiss eingesetzt werden.
Aber das Experiment hat einige rätselhafte Ergebnisse erbracht. Mehrere urbane Studien hatten herausgefunden, dass künstliches Licht in der Nacht Singvögel dazu veranlasst, früher am Tag zu singen. Da die Weibchen dazu neigen, früh singende Männchen auszuwählen, kann der verschobene Morgenchor Einfluss darauf haben, welche Vögel sich fortpflanzen. Aber das Team in den Niederlanden fand keinen Effekt auf eine der 14 Singvogelarten10. Möglicherweise war die Beleuchtung zu schwach, um einen Effekt hervorzurufen – sie ist so kalibriert, dass sie das Niveau auf Landstrassen und Radwegen widerspiegelt und nicht die Blendung eines Stadtparks.
Beide Arten von Ergebnissen sind für die Kommunalverwaltungen nützlich, sagt Kamiel Spoelstra, Biologe am Niederländischen Institut für Ökologie (NIOO-KNAW) in Wageningen, der das Projekt leitet. Die Erkenntnisse seines Teams fliessen in die niederländischen Vorschriften zur Aussenbeleuchtung ein. Zum Beispiel, sagt er, haben einige Gebiete, die versuchen, lokale Fledermauspopulationen zu unterstützen, auf Rotlicht umgestellt.
Farbiges Licht bestreicht auch Weideland im Südwesten Englands, wo ein Projekt namens Ecolight nach Beweisen für «Kaskadeneffekte» sucht, bei denen die Einflüsse von Licht auf eine Art Auswirkungen auf das Ökosystem haben.
Die glühenden Kuben, die Ecolight verwendet, könnten mit einer Kunstinstallation verwechselt werden. Wissenschaftler unter der Leitung von Kevin Gaston, einem Spezialisten für Biodiversität und Naturschutz an der University of Exeter, Großbritannien, haben soeben 54 künstliche Grünlandgemeinschaften erforscht. In einigen der Würfel haben Käfer, Schnecken, Erbsenläuse und 18 Pflanzenarten 5 Jahre lang isoliert von der Aussenwelt gelebt. Andere Kisten waren einfacher – sie enthielten nur Pflanzen und Pflanzenfresser oder Pflanzen allein. Nachts wurden einige mit weissem Licht beleuchtet, andere mit Bernstein (Amber) und wieder andere sahen nur den freien Himmel.
“Wir waren zu unbedarft als Biologen, was die Komplexität des Lichts betrifft.”
Die Auswirkungen von Licht auf Weideland sind wichtig, auch weil Strassenrabatten Zufluchtsorte und Korridore für Wildtiere in bebauten Gebieten bieten. Die Wissenschaftler entdeckten, dass das bernsteinfarbene Licht und in geringerem Masse auch das weisse, das Blühen im Kleeblatt (Lotus pedunculatus)11 unterdrückte. Und es gab einen Kaskadeneffekt in den bernsteinbeleuchteten Boxen. Im August, wenn die Erbsenläuse von der Nahrungsaufnahme der Triebe auf das Schlemmen der Blütenköpfe umstellen, fiel ihre Zahl ab, vermutlich, weil ihre Nahrung weniger reichlich vorhanden war. «Ich denke, dies ist der erste experimentelle Beweis für einen starken Bottom-up-Effekt der Exposition gegenüber künstlichem Licht», sagt Gaston. In seiner jüngsten, unveröffentlichten Arbeit deckt das Team weitere Effekte auf und stürzt sich auf die Raubtiere in den Systemen.
Ein weiteres aufwendiges Experiment in einem Dunkelfeldreservat im Naturpark Westhavelland in Deutschland hat gezeigt, dass diese Kaskadeneffekte auf benachbarte Ökosysteme übergreifen können. Strassenlaternen, die in der Nähe von wassergefüllten Gräben aufgestellt wurden, locken Wasserinsekten aus dem Wasser12, sagt Franz Hölker, Ökohydrologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Die Insekten strömen zu den Lampen, erschöpfen sich und werden Nahrung für die nahegelegenen Raubtiere. Dem Hinterland, das ansonsten möglicherweise Insektenbesuche erhalten hätte, wird eine wichtige Nahrungsquelle vorenthalten, sagt er.
Studien wie diese, die solche Zusammenhänge in gut kontrollierten, kleinmassstäblichen Studien offen legen, bedeuten, dass «diese Auswirkungen im Feld und von den Regulierungsbehörden, die die Auswirkungen der Beleuchtung in Betracht ziehen, mit grösserer Wahrscheinlichkeit Ernst genommen werden», sagt Longcore.
Künstliches Licht kann auch Auswirkungen auf die Ökosystemleistungen haben – den Nutzen, den Ökosysteme für den Menschen haben. Eine im vergangenen Jahr in Nature veröffentlichte Studie hat ergeben, dass die Beleuchtung einer Reihe von Schweizer Wiesen nächtliche Insekten, die Pflanzen bestäuben, gestoppt hat13. Ein Team unter der Leitung von Eva Knop vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern fand heraus, dass die Insektenbesuche bei künstlichem Licht um fast zwei Drittel zurückgingen und die Bestäubung am Tag nicht kompensieren konnte: Die Pflanzen produzierten 13% weniger Früchte. Knop’s Team prognostizierte, dass diese Veränderungen das Potenzial haben, zur Gemeinschaft der Bestäuber am Tag zu kaskadieren, indem sie die Menge der verfügbaren Nahrung reduzieren. «Dies ist eine sehr wichtige Studie, die deutlich zeigt, dass künstliches Licht in der Nacht eine Bedrohung für die Bestäubung darstellt», sagt Hölker.
Erhellte Nachthimmel
Ein grosser Teil der Erde bleibt frei von direktem künstlichem Licht, aber künstliches Himmelsleuchten – Licht, das durch Aerosole und Wolken zur Erde zurückgestreut wird – ist weiter verbreitet. Es kann so schwach sein, dass der Mensch es nicht sehen kann, aber Forscher sagen, dass es immer noch die 30% der Wirbeltiere und 60% der Wirbellosen bedrohen könnte, die nachtaktiv und besonders lichtempfindlich sind.
Künstliches Himmelsleuchten «hat fast sicher» Auswirkungen auf die Biodiversität, sagt Gaston, denn der Wert liegt weit über den Schwellenwerten für die Auslösung vieler biologischer Reaktionen. Und doch, sagt er, «ist es eigentlich ziemlich schwierig, in einer Studie den endgütligen Beweis zu erbringen».
Hier kommt das Waldsee-Experiment ins Spiel. Glühende Lichtkreise schweben über Zylindern, die in den Stechlinsee versenkt wurden, und erzeugen so ein neues Licht. Sie sind das Werk des Leibniz-Physikers Andreas Jechow, der einen Weg finden musste, um eine niedrige, gleichmäßige Beleuchtung zu erzeugen, ohne das Tageslicht zu blockieren oder den Zugang für Wissenschaftler zu erschweren. Dies gelang ihm und seinem Team mit Hilfe modernster Photonik-Tools, wie z.B. einem hochentwickelten Strahlengangberechnungsmodell.
«Wir waren als Biologen zu unwissend über die Komplexität des physikalischen Phänomens Licht», sagt Mark Gessner, Direktor des Projekts, bekannt als The Lakelab, und Co-Leiter des Kunstlichtprojekts ILES (Illuminating Lake Ecosystems). In der Vergangenheit haben einige Experimente sogar versäumt, dass der beleuchtete Mond über den Nachthimmel zieht, fügt er hinzu.
Die Idee für ILES war es, die Ergebnisse einer bekannten Studie über Zooplankton zu erweitern, das tagsüber in tiefem, dunklem Wasser lebt und nachts in flacheres Wasser wandert, um dort Algen zu weiden. Diese Bewegung gilt als die größte Wanderung von Biomasse in der Welt. Eine Studie14 in Seen in der Nähe von Boston, Massachusetts, in den späten 1990er Jahren deutete darauf hin, dass Künstliches Himmelsleuchten den Aufstieg des Zooplanktons um 2 Meter und die Anzahl der Organismen, die um 10-20% ansteigen, reduziert. Diese Verhaltensänderung kann ein unerkannter Treiber grundlegender Prozesse im See wie Algenblüten sein.
Bei ILES sehen die 24 Zylinder mit einem Durchmesser von jeweils 9 Metern von der Oberfläche betrachtet wie eine Fischfarm aus. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beleuchten sie mit verschiedenen Ebenen des Himmelsglühens und messen die Verteilung des winzigen Planktons mit Hilfe von Videokameras und fanden heraus, dass künstliches Himmelsleuchten keinen massiven Einfluss auf die Bewegung der Algen hat. «Wir haben vielleicht ein verändertes Migrationsmuster, aber ich bin mir da noch nicht sicher», sagt Gessner. «Wenn es einen Effekt gibt, sieht es so aus, als wäre es nicht der tiefgreifende, den wir erwartet haben.»
Das überraschende Ergebnis ist typisch für diese schwierigen Studien. Gessner weist darauf hin, dass ihr Experiment erst die erste Saison abgeschlossen hat. «Vielleicht brauchen wir uns keine Sorgen zu machen oder weniger Sorgen zu machen – wir wissen es nicht, zumindest was die Auswirkungen von künstlichem Himmelsleuchten auf Seen betrifft», sagt er.
Helle Zukunft
Es ist eine langsame, akribische Arbeit, aber das Feld wächst zusammen, da sich Beweise ansammeln, sagt Gaston. «In den letzten zwei oder drei Jahren hat sich unser Verständnis drastisch verbessert», sagt er.
Nichtsdestotrotz gibt es Verbesserungen. Selbst die Messung der Belichtung ist schwierig. Auf dem Feld kann das Licht, das ein Organismus empfängt, schwierig zu messen sein; ein Vogel könnte sich in den Schatten eines nahegelegenen Baumes zurückziehen, um z.B. eine Beleuchtung zu vermeiden. So haben einige Wissenschaftler versucht, Lichtmessgeräte an Vögel zu befestigen, um eine bessere Vorstellung von der Dosierung zu bekommen.
Wenn die Resultate durchsickern, ist eine Sache, die Ökologen sowohl frustriert als auch inspiriert, dass nun Abhilfe zur Hand ist.
Longcore sammelt jetzt veröffentlichte Daten darüber, wie verschiedene Spezies, wie z.B. Schaf- und Meeresschildkröten, auf verschiedene Bereiche des Spektrums reagieren und gleicht die Ergebnisse mit den Spektren ab, die von verschiedenen Beleuchtungsarten emittiert werden. Er will Entscheidungsträger über die Beleuchtung informieren – zum Beispiel, welche Art von Lampe auf einer Brücke und welche in einem Badeort verwendet werden soll.
Ingenieure und Ökologen wissen, dass eine durchdachte Beleuchtung ihre Aufgabe erfüllen kann, ohne «Licht in den Himmel zu sprühen», wie Kyba es ausdrückt. LEDs können so eingestellt werden, dass sie in bestimmten Bereichen des Spektrums leuchten, dimmen und ferngesteuert abschalten. «Meine Vision», sagt Kyba, «ist, dass in 30 Jahren die Strassen schön beleuchtet sein werden – besser als heute – aber wir werden ein Zehntel des Lichts nutzen».
Das wäre eine gute Nachricht für Ökosysteme, sagt Hölker, denn die Dunkelheit ist eine der tiefsten Kräfte, die die Natur prägen. «Die halbe Welt ist immer dunkel», sagt er. «Die Nacht ist die halbe Geschichte.»
- Gaston, K. J., Duffy, J. P., Gaston, S., Bennie, J. & Davies, T. W. Oecologia 176, 917–931 (2014).
- Falchi, F. et al. Sci. Adv. 2, e1600377 (2016).
- Kyba, C.C.M. et al. Sci. Adv. 3, e1701528 (2017).
- Eisenbeis, G. in Ecological Consequences of Artificial Night Lighting. Rich, C. & Longcore, T. (eds). pp 281–304 (Island, 2006).
- ffrench-Constant,R.H. et al. Proc. R. Soc. B 283, 2016 0813 (2016).
- Palmer, M. et al. ‘Roadway lighting’s impact on altering soybean growth’(Illinois Center for Transportation, 2017); available at http://go.nature.com/2qh3fjb
- Spoelstra, K. et al. Phil. Trans. R. Soc. B 370, 2014 0129 (2015).
- Ouyang, J.Q. et al. Glob. Change Biol. 23, 4987–4994 (2017).
- Spoelstra, K. et al. Phil. Trans. R. Soc. B 284, 20170075 (2017).
- Da Silva, A. et al. R. Soc. Open Sci. 4, 160638 (2017).
- Bennie, J. et al. Phil. Trans. R. Soc. B 370, 20140131 (2015).
- Manfrin, A. et al. Front. Environ. Sci. 5, 61 (2017).
- Knop, E. et al. Nature 548, 206–209 (2017).
- Moore, M. V., Pierce, S. M., Walsh, H. M., Kvalvik, S. K. & Lim, J. D. SIL Proc,
1922–2010 27, 779–782 (2000).
Nature – Licht gesünder machen
Künstliche Beleuchtung kann den Schlaf rauben und krank machen.
Wir brauchen neue Strategien und Technologien, argumentiert Karolina M. Zielinska-Dabkowska in einem Kommentar in Nature (engl.).
Völlige Dunkelheit ist in der Nacht notwendig, um Prozesse der Zellerneuerung in Gang zu setzen.
Dark-Sky Switzerland: Nachfolgend unsere deutsche Übersetzung.
Das Leben auf der Erde entwickelte sich in Tag-und-Nacht-Zyklen. Pflanzen und Tiere, darunter auch Insekten wie die Fruchtfliege, haben eine biologische Uhr, die ihren circadianen Rhythmus steuert – wie die Nobelpreisträger 2017 in Physiologie oder Medizin gezeigt haben. Die zunehmende Abhängigkeit der Menschen von künstlicher Beleuchtung verändert diese Rhythmen1.
Mehr als ein Jahrhundert lang haben uns Glühlampen gute Dienste geleistet. Diese Lampen waren billig zu produzieren und zu entsorgen und einfach zu dimmen. Ihr Spektrum ist ununterbrochen und umfasst die meisten Farben des Regenbogens, ähnlich wie bei einem Sonnenuntergang (siehe Lichtquellen-Spektren). Sie hatten ihre Probleme. In den 90er Jahren warfen einige Forscher der elektrischen Beleuchtung vor, dass sie unsere Schlafgewohnheiten von dem natürlichen Rhythmus zweier vierstündiger Phasen, die von einer Stunde Wachheit unterbrochen wurden, auf eine einzige achtstündige Phase pro Nacht umgestellt haben. Glühlampen sind energiehungrig und politische Entscheidungsträger sorgen sich um ihren Beitrag zur globalen Erwärmung. Im Jahr 2005 verbrauchte die Beleuchtung rund ein Fünftel der Weltenergie.
Im Jahr 2009 hat die Europäische Kommission damit begonnen, Glühlampen vom europäischen Markt zu nehmen. Es folgten weitere Länder, von der Schweiz und Australien über Russland bis hin zu den USA und China. Energiesparlampen – zunächst vor allem Kompaktleuchtstofflampen (CFLs) und später Leuchtdioden (LEDs) – wurden als Ersatz gefördert. Die gesundheitlichen Risiken, die diese Politik für Menschen, Tiere und Pflanzen mit sich bringt, müssen noch gründlich geprüft werden.
Als Lichtforscher und -designer bin ich überzeugt, dass die Kosten dieses Übergangs die Vorteile für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bei weitem überwiegen. Da die urbane Weltbevölkerung mehr Zeit in Innenräumen unter künstlicher Beleuchtung verbringt als bei Tageslicht, sind die Auswirkungen auf die Gesundheit bereits sichtbar. Rund eine Milliarde Menschen weltweit leiden an Vitamin D oder haben nicht genug2. Die saisonale affektive Störung, eine Art von Winterdepression, die auftreten kann, wenn weniger natürliches Tageslicht vorhanden ist, ist auf dem Vormarsch. Schichtarbeiter sehen sich einem erhöhten Krebsrisiko3, Fettleibigkeit4 und Schlafproblemen5 gegenüber.
Biologisch unbedenkliche Formen energieeffizienter Beleuchtung sind gefragt. Ich fordere Physiker, Ingenieure, Mediziner, Biologen und Designer auf, sie zu entwickeln. Politiker, Planer und Regulatoren sollten Standards überdenken, die Nutzung von natürlichem Licht fördern und die negativen Auswirkungen von künstlichem Licht in der Nacht, drinnen und draußen minimieren.
Stachlige Spektren
Meiner Ansicht nach gibt es jetzt genügend Beweise, um zu dem Schluss zu kommen, dass die erste Welle von Niedrigenergie-Lichtquellen schädlich ist. CFLs sind am gefährlichsten. Sie enthalten Quecksilber, ein Neurotoxin. Es gibt keine Protokolle für das Recycling oder die Entsorgung – 80% werden auf die Deponie geworfen. Ultraviolettes Licht kann aus defekten Röhrenbeschichtungen entweichen, um die Haut zu verbrennen oder die Netzhaut aus nächster Nähe zu schädigen; die US-amerikanische Food and Drug Administration empfiehlt, einer CFL nicht näher als 30 Zentimeter für mehr als eine Stunde pro Tag zu kommen.
CFLs haben eher „stachlige“ als glatte Spektren: Sie emittieren nur bestimmte blaue, grüne und orangerote Frequenzen (siehe „Lichtquellen-Spektren“). Ihr Flackern bei 100-120 Hertz kann Kopfschmerzen und Augenermüdung verursachen6. Die Energieeinsparungen können überschätzt werden – CFLs brauchen Minuten, um sich aufzuwärmen, so dass sie wahrscheinlich länger eingeschaltet bleiben. Wenn sie mehrmals ein- und ausgeschaltet werden, fallen sie schneller aus.
Vielversprechender ist die Festkörperbeleuchtung in Form von LEDs. LEDs enthalten kein Quecksilber und erzeugen nur eine geringe Menge an UV-Strahlung (im Vergleich zu CFLs oder sogar Glühlampen). Sie sind energieeffizienter, heller und langlebiger als CFLs. Im Gegensatz zu CFLs können sie gedimmt oder getunt werden und die Farben gut wiedergeben. Aber LEDs haben auch Nachteile7. Einige enthalten Schwermetalle wie Nickel, Blei und Kupfer und Gifte wie Arsen. Auch hier gibt es keine speziellen Programme für das Recycling oder die Entsorgung. Schlechte LEDs können auch flackern und Stroboskopeffekte erzeugen, wie z.B. Lichtspuren, die Fussgänger, Radfahrer oder Autofahrer verwirren können.
Die Beleuchtungsindustrie beginnt, sich mit dem Mangel an Tageslicht in Innenräumen zu befassen. In den letzten Jahren hat sie künstliche, biologisch wirksame Beleuchtung in Büro- und Wohnumgebungen gefördert, die als human-centric oder circadiane Beleuchtung bekannt ist. Dies verspricht, den Tagesrhythmus der Menschen in Innenräumen anzupassen, indem LED-Farbwechselleuchten eingesetzt werden, die das Tageslicht je nach Tageszeit imitieren. Die Deutsche Kommission für Arbeitsschutz und Normung (KAN) hat Bedenken gegen diese Praktiken geäussert. Die Risiken von Nebenwirkungen bleiben bestehen, da der Zusammenhang zwischen Lichtreizen und nicht-visuellen Reaktionen noch zu wenig verstanden wird. Es bedarf der Forschung, um mehr herauszufinden und die Standards entsprechend zu festigen.
Blaues Problem
In der Zwischenzeit wird künstliches Licht aus meiner Sicht zu einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit. CFLs und LEDs emittieren mehr blaues Licht mit kurzen Wellenlängen als ein Sonnenuntergang oder eine Glühlampe (siehe Lichtquellen-Spektren). Die meisten weissen LED-Lampen werden hergestellt, indem blaue oder manchmal violette LEDs mit gelbem Pigment, meist Phosphor, beschichtet werden.
Das zirkadiane System des Menschen ist ausserordentlich empfindlich auf das Spektrum des für das Auge sichtbaren Lichts, insbesondere auf blaue Wellenlängen, sowie auf seine Menge und Intensität (siehe ‚Licht und die innere Uhr‘). Neben Stäbchen- und Zapfenrezeptoren, die für das Sehen verwendet werden, enthält das Auge Zellen, die als intrinsisch lichtempfindliche retinale Ganglienzellen (ipRGCs) bezeichnet werden. Diese senden Signale an das Gehirn, die den Körper dazu veranlassen, Neurotransmitter und Hormone während des ganzen Tages zu produzieren oder zu hemmen8. Die spektrale Empfindlichkeit von Melanopsin, dem Photopigment von ipRGCs, erreicht die maximale Absorption bei etwa 480 Nanometern und entspricht damit der Farbe eines klaren blauen Himmels am Mittag.
Am Morgen wird das Aufwachen durch blaue Wellenlängen des Tageslichts unterstützt, die Freisetzungen der Neurotransmitter Serotonin und Dopamin sowie des Hormons Cortisol auslösen. Am Abend, wenn das natürliche Niveau des blauen Lichts sinkt und durch dunkles rotes Licht ersetzt wird, wird das Melatoninhormon produziert und hilft uns beim Einschlafen. Völlige Dunkelheit ist in der Nacht notwendig, um Prozesse der Zellerneuerung in Gang zu setzen.
Wenn Menschen nachts künstlichem, blau-reichem, weissem Licht ausgesetzt werden, von Bildschirmen und elektronischen Geräten sowie künstlicher Beleuchtung, signalisieren die lichtempfindlichen Ganglienzellen in der Netzhaut dem Gehirn, die Produktion von Melatonin einzustellen. Solche Störungen können weitreichende Auswirkungen haben: auf Schlaf- und Wachzyklen, Essgewohnheiten, Stoffwechsel, Fortpflanzung, geistige Wachsamkeit, Blutdruck und Herzfrequenz, Hormonproduktion, Temperatur, Stimmungsmuster und das Immunsystem.
Künstliches Licht in der Nacht wirkt sich auch auf andere Arten aus. Bestäuber wie Motten, Fliegen und Käfer werden vom Licht angezogen, anstatt sich auf Fütterung, Paarung oder Zucht zu konzentrieren9. Fledermäuse verändern ihr Fressverhalten, Vögel, Fische und Schildkröten ändern ihre Zugrouten, und das Wachstum von Bäumen und Pflanzen wird beeinträchtigt.
Stadtgrenzen
Das Ausmass unserer Exposition gegenüber künstlicher Beleuchtung nimmt zu, da Städte Natrium-Strassenlampen auf LEDs umstellen. In den Vereinigten Staaten wurden 10 % aller Strassenbeleuchtungen umgebaut. New York City ändert alle 250’000 seiner Strassenlaternen. Mailand in Italien war die erste Stadt in Europa, die dies in dieser Grössenordnung tat – und das Ergebnis ist aus dem Weltraum zu sehen. Ab 2015 war die Beleuchtung des Stadtzentrums heller und blauer als die der Vororte.
Gutes Lichtdesign kann einige Probleme mildern. Der „Lichteinfall“ in den Wohnbereich, einschließlich der Schlafzimmer, kann reduziert werden, indem man Aussenleuchten entwirft, die nach unten strahlen oder Schilde verwenden, um Streustrahlen zu blockieren. Strassenleuchten können mit intelligenten Steuerungssystemen und drahtlosen Netzwerken von Bewegungsmeldern gedimmt werden. Das Dorf Van Gogh in der Gemeinde Nuenen in den Niederlanden beispielsweise senkt seine Straßenlaternen um 80 %, wenn es keine Aktivität gibt, und dreht sie auf, wenn sich ein Fussgänger, Radfahrer oder Auto nähert, und umgibt sie mit einem sicheren Lichtkreis. Intelligente Beleuchtung ist teuer in der Installation, aber die Investition zahlt sich schnell aus: Das Nuenen-System senkte die Energie- und Wartungskosten um 62%.
Mit der zunehmenden Verbreitung von LEDs treten neue Probleme auf, die einer Regulierung bedürfen. Beispielsweise können elektromagnetische Strahlung von drahtlosen Lichtsteuerungen, LED-Signalisationen im Freien und digitalen Werbetafeln Handys, Flugzeugtürme und medizinische Geräte wie Hörgeräte oder implantierbare Herz-Kreislauf-Geräte stören10.
Verschärfte Standards
Bis gesündere Beleuchtungsoptionen zur Verfügung stehen, müssen die folgenden Schritte unternommen werden, um mögliche negative Auswirkungen auf die innere Uhr zu reduzieren. Meiner Meinung nach sollten CFLs wegen der Knappheit von Entsorgungs- und Recyclingprotokollen aus dem Verkauf genommen werden. LED-Quellen sollten stärker reguliert werden. Im Innenbereich empfehle ich die Verwendung von warmweissen LEDs am frühen Abend (mit Farbtemperaturen unter 3.000 Kelvin und mit möglichst wenig blauem Licht im Spektrum), und es sollte nachts keine oder nur Licht mit einem Spektrum von mehr als 600 nm (bernsteinfarben, rote Farbe) verwendet werden. Die Beleuchtung sollte indirekt, flimmerfrei und dimmbar sein.
Unabhängige Forschung – über die Beleuchtungsindustrie hinaus – ist notwendig, um die Gesundheits- und Umweltauswirkungen von LED-Quellen zu untersuchen, einschliesslich solcher mit einstellbaren spektralen Eigenschaften, Intensitäten, Zeiten und Dauer, basierend auf der Tages-, Abend- oder Nachtzeit. Emissionen außerhalb des sichtbaren Bereiches sind zu berücksichtigen, wie z.B. Nahinfrarotstrahlung (750-950 nm), die im Tageslicht vorhanden ist, und Glühlampen, nicht aber in LEDs. Die Forschung zeigt, dass es ein Gleichgewicht geben muss – die Nutzung dieser Lichtfrequenzen kann geschädigte Netzhautzellen reparieren11 und ist notwendig. Der Einsatz von Schwermetallen in LEDs muss reduziert und ein Verfahren zur Abfallwirtschaft etabliert werden. Die Auswirkungen der Steuerungstechnik im Aussen- und Innenbereich müssen untersucht werden.
Staatliche und medizinische Stellen müssen strengere Vorschriften und Standards für die Nutzung von kurzwelligem Licht in der Nacht erarbeiten. Im Juni 2016 veröffentlichte die American Medical Association eine Grundsatzerklärung (Guidance to Reduce Harm from High Intensity Street Lights), um Gemeinden bei der Auswahl der verschiedenen LED-Beleuchtungsoptionen zu unterstützen. Empfehlungen für Lichtintensitätsschwellenwerte, Timing und Dauer für Innen- und Aussenbereiche bei Nacht sind ebenfalls erforderlich. Ebenso wichtig ist es, die genauen spektralen Eigenschaften der empfohlenen Lichtquellen in Nanometern zu definieren und nicht nur die korrelierten Farbtemperaturen (CCT) in Kelvin. Letzteres ist ein Näherungswert und kann das Lichtspektrum nicht genau beschreiben.
Die Politik sollte sich für eine bessere Nutzung des natürlichen Lichts in Innenräumen während des Tages einsetzen. Kunstlicht sollte nur dann eingesetzt werden, wenn nicht genügend Tageslicht zur Verfügung steht, insbesondere in Fabriken, Krankenhäusern, Pflegeheimen und Büros, in denen die Menschen viel Zeit verbringen. Bauvorschriften sollten Praktiken und Technologien belohnen, die natürliches Licht nutzen.
Gemeinden sollten nachhaltige nächtliche Beleuchtungsstrategien und -richtlinien in ihre Masterpläne für die Stadtbeleuchtung aufnehmen. Strassen- und Sicherheitsbeleuchtung sollte nach unten gerichtet und abgeschirmt sein. Die Lichtwerte für Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer sollten das Minimum sein, das akzeptabel ist. Passive Technologien sollten erforscht werden. So könnten zum Beispiel leuchtende Flächen, die tagsüber Energie von der Sonne aufnehmen und nachts wieder abgeben, auf Strassen und Radwegen genutzt werden (aus diesem niedrigen Winkel fällt das Licht auf die Netzhautzone, in der blaues Licht keinen biologischen Einfluss hat). Lichter in Parks und in der Nähe von Wäldern sollten am späten Abend ausgeschaltet oder gedimmt werden.
Die elektromagnetische Feldemission von LED-Aussenwerbung muss kontrolliert werden. Digitale Displays an Fassaden sollten nicht heller sein als die Beleuchtung von Strassen, Gebäuden und Plätzen in der Nähe. Anlagen sollten am späten Abend abgeschaltet werden, um den Lichteinfall in Wohngebäude zu reduzieren.
Schliesslich muss das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Problematik der Beleuchtung geschärft werden. Forscher und Lichtpraktiker müssen die Herausforderungen kommunizieren. Gesundes Lichtdesign wird zu einem wichtigen ethischen Thema, das nicht ignoriert werden darf. Immer mehr Gemeinden, wie z.B. Monterey in Kalifornien, gewinnen Klagen gegen Behörden wegen unangemessener LED-Stadtbeleuchtung.
Aus all diesen Gründen benutze ich immer noch die alten Glühlampen in meinem Haus, schlafe in völliger Dunkelheit und verbringe jeden Morgen mindestens eine Stunde bei hellem Tageslicht, um meine circadiane Uhr zu aktivieren – so wie viele Lichtdesigner, Ärzte und Chronobiologen. Es ist zwingend erforderlich, dass wir zu dem hellen Tag- und Dunkelnacht-Zyklus zurückkehren, den die Evolution in uns eingraviert hat.
Nature 553, 274-276 (2018)
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Tagesanzeiger – Rätselhaftes Verschwinden der Igel aus der Stadt
In Zürich nimmt die Igel-Population drastisch ab. Vielleicht, weil sich ein anderes Tier ausbreitet.
» Rätselhaftes Verschwinden der Igel aus der Stadt
Dark-Sky Switzerland: Unökologische Bewirtschaftung der Gärten, Einsatz von allerlei Giften zur Bekämpfung von unerwünschten Pflanzen und Insekten, Zunahme der Lichtemissionen, welche Insekten anlocken, immer mehr Grenzmauern und Zäune ohne Durchschlupf, Kreiselmäher, Laubbläser u.a.m. Der Igel verliert seine Wohnung, seine Schlaftstube, seine Nahrung und seine Verkehrswege. Und weil niemand gerne die Wahrheit hört, darum soll ein Beutetier schuld sein?